Zwischenbilanz Kurzfilmtage Oberhausen: Kunst statt Parolen

Ernsthafte Debattenfreude, hoher Schauwert, Universalismus: Eindrücke von den Oberhausener Kurzfilmtagen stimmen positiv.

Ein Paar hält ein totes Kind. Szene aus dem sudanesischen Film "Ba’ad Thalek La Yahdoth Shea" (Nothing Happens After That

Szene aus „Ba’ad Thalek La Yahdoth Shea“ (Nothing Happens After That), Regie: Ibrahim Omar, Sudan Foto: Ibrahim Omar/Internationale Kurzfilmtage Oberhausen

„Kommen Sie aus Oberhausen oder aus der Welt?“, fragt Nati, Besitzerin eines Second-Hand-Shops, wenn man ihren Laden gegenüber dem Festivalkino Lichtburg in der Oberhausener Fußgängerzone betritt.

Die Frage nach dem Verhältnis von Oberhausen zur Welt wird auch am ersten der sechs Kurzfilmtage auf einem Podium diskutiert: „Sind Festivals noch ein universalistisches Projekt?“ Angeleitet von Moderatorin Dunja Bialas versuchen sich documenta-Forscher Harald Kimpel, FAZ-Feuilletonist Andreas Kilb, Lea Wohl von Haselberg, Programmdirektorin des Jüdischen Filmfestivals Berlin-Brandenburg, und der französische Filmkritiker Ariel Schweitzer an einer Antwort.

Diskussionsrunden spielen bei den diesjährigen Kurzfilmtagen eine übergeordnete Rolle. Noch bevor der Eröffnungsfilm über die Leinwand flackerte, wurde im Rahmenprogramm „Tagung“ die Tiefe aktueller kultureller und politischer Gräben theoretisch vermessen.

Ambivalenzen aushalten

Für die Panelisten am Tag darauf stellt sich die Frage nach dem universalistischen Projekt als Frage nach der Kunst – also nach ihrem Vermögen, zu irritieren und Ambivalenzen auszuhalten. Hier wünscht man sich: Politische Kunst statt plakativer Parolen und eine Kulturpolitik, die Verantwortung übernimmt, wo der Kulturbetrieb den Boden der Demokratie verlässt.

Den „Schutzraum der Kunst“ als Ort von Kontroversen will Andreas Kilb bewahren. Für Filmfestivals wie die Berlinale, bei der es im Februar ebenfalls zu Protesten im Zuge des Kriegs in Nahost gekommen war, hieße das aber auch, zwischen Filmen und den Institutionen zu unterscheiden, die sie hervorbringen.

Zumindest laut dem Urteil von Lea Wohl von Haselberg und Ariel Schweitzer: Ihnen gilt die Kritik an „stillen Boykotten“ israelischer Filme durch Kuratoren, Programmleitungen und Verleiher nicht als Eingriff in die Kunstfreiheit oder Ausdruck starrer Repräsentationsquoten, sondern sie sei notwendig, um den Raum der Kunst vor Übergriffen zu schützen.

Universalistischer Anspruch

Hinter den vielen Worten, die sich im Rahmenprogramm schützend vor die Kunst stellen, sind es aber die Filme selbst, die uns den universalistischen Anspruch Oberhausens auch 70 Jahre nach Gründung des Festivals verdeutlichen. Ein Blick in den internationalen Wettbewerb der ersten Tage genügt: „Ba’ad Thalek La Yahdoth Shea'“ (2023) des sudanesischen Regisseurs Ibrahim Omar inszeniert die Entrechtung sudanesischer Kriegsflüchtlinge in Ägypten als tragisch-komische Posse über die Unmöglichkeit, ein totes Kind zu beerdigen.

Irina Savon entgeht mit ihrem Film „Ovozlar“ (2023) dem Darstellungsdilemma des Kollektivismus: Sie zeigt usbekische Bauarbeiter, die sich fern ihrer Familien in der Enge provisorischer Räume zur liebevollen Zweck-Wohngemeinschaft zusammenfinden – als Individuen mit Würde, nicht als gesichtslose Platzhalter von Ideologien.

Zuletzt ist es auch der in London lebende chinesische Regisseur Wang Zhiyi, der beweist, dass politische Filme keine Parolen brauchen, um Kritik zu üben. In seinem Film „Spring 23“ (2023) wird die Suche des einsamen Protagonisten nach Feuerwerkskörpern zum hintersinnigen Protest gegen den Kontrollzwang des Regimes – und zum kollektiven Trauerspiel einer Gesellschaft am Ende der Coronapandemie.

Ambivalente Form

Nicht das ideologische Pathos des Inhalts bewegt, sondern die ambivalente Form, die vom Aufbegehren des Einzelnen gegen den Zwang zeugt. Die Politik dieser universalistischen Geste findet sich in Oberhausen auch abseits prominenter Krisenregionen: Sei es in Filmen wie „Fishing“ der britischen Regisseurin Josie Charles, die uns mit ihrer düsteren Komödie über die tödlichen Folgen der sexuellen Vorlieben ihrer Protagonistin Lola aus den identitätspolitischen Sackgassen der Gegenwart hinausführt.

Oder in Programmen wie „The Oberhausen Selection“, das Bewohner eines örtlichen Seniorenheims aus Filmen des Festivalarchivs zusammengestellt haben. Im selbstverständlichen Nebeneinander von satirischen Heimatfilmen und denen feministischer Filmemacherinnen wie Jovana Reisinger zeigt sich nicht nur der Schauwert ungewohnter Collagen, sondern auch, was alte Menschen möglicherweise wollen.

Weniger Entfremdung, den Ausbruch aus dem Käfig und, ja, auch ein bisschen Heimat und in Ruhe auf der Strandliege abhängen.Das muss man nicht teilen, sehenswert ist es dennoch. Ist es doch die Auseinandersetzung mit dem Ungewohnten, mit der uns die Kunst voranbringt. Am zweiten Tag fragte ein Panel: „Was legitimiert Festivals?“ In Oberhausen wünscht man sich die Antwort: Es sollte nicht die Politik, es muss die Kunst sein.

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