Sexuelle Übergriffe vor dem KitKat: Selbst Schuld bei schwacher Blase

Wegen fehlender Toiletten vor dem KitKat, pinkeln Frauen in der Schlange in Hinterhöfe. Männer nutzen das aus, um sie sexuell zu belästigen.

KitKat Club Berlin

„Wir wollen Frauen vor sexueller Gewalt schützen, aber rennen nur gegen verschlossene Türen.“ Foto: Paul Zinken/dpa

BERLIN taz | Warten, bis eine Frau pinkelt, dann zugreifen: Das sei die Masche des Abends gewesen, erzählt Kim. Sie ist Anwohnerin der Köpenicker Straße 102/103, einem Wohnhaus gegenüber von dem sexpositiven Club KitKat. Voriges Wochenende hätten sich zwei „zwielichtige Männer“ stundenlang in ihrem Hinterhof herumgetrieben und auf junge Frauen gewartet, die pinkeln mussten. Wenn diese sich hinhockten, schlichen die Männer sich an und versuchten sie zwischen den Beinen anzufassen, sagt Kim. Über die letzten Jahre sei es vereinzelt immer wieder zu solchen Vorfällen gekommen.

Die An­woh­ne­r*in­nen sehen das KitKat in der Verantwortung. Denn für Frauen, die zum Teil stundenlang vor dem Club anstehen müssen, gibt es keine geschützten Möglichkeiten zum Urinieren. „Die müssen sich notgedrungen in dunklen Ecken erleichtern, während Männer ihnen systematisch auflauern“, kritisieren sie. Der Club weise die Verantwortung zurück: Viele Frauen aus der Schlange würden gar nicht reingelassen, seien also nicht ihre Kundinnen, habe ein Türsteher argumentiert.

Die An­woh­ne­r*in­nen wollen das nicht durchgehen lassen: „Wir dulden nicht, dass durch Untätigkeit städtischer Behörden und/oder des Clubbetreibers weiterhin ein vermeintlich rechtsfreier Raum auf unserem Privatgrundstück entsteht, der sexuelle Gewalt ermöglicht“, schrieben sie in einer Mail an die Clubbetreiberin Kirsten Krüger. Von dieser hatten sie für das Wochenende ein Interimssicherheitskonzept gefordert.

Die Zustände seien „natürlich furchtbar und nicht akzeptabel“, antwortete Krüger. Sie wisse jedoch nicht, wie sie die Situation ändern könne. Das Aufstellen von Toiletten führe zu noch größeren Problemen. „Damit liefern Sie potenziell gewalttätigen Menschen auch noch einen verschließbaren Raum, der nicht einsehbar ist“, sagt sie. Zudem wisse sie nicht, wie die Klos auf dem Trottoir genehmigt werden könnten. Auf öffentlichem Gelände sei sie machtlos.

Die Behörden weisen die Verantwortrung von sich

„Ich kann nachvollziehen, was Krüger schreibt“, sagt Kim. „Bei den Behörden fühlt sich niemand berufen, auch nur einen Bruchteil der Verantwortung zu übernehmen.“ Auch die An­woh­ne­r*in­nen seien wiederholt auf die Stadt zugegangen, um die Bereitstellung von Toiletten zu fordern. „Da hieß es immer, sie seien nicht zuständig, man solle sich an Wall wenden.“ Die Toilettenfirma antwortete: Es gebe im Umkreis von 200 Metern um den Club herum öffentliche Toiletten, weitere brauche es nicht.

Das Verhalten Krügers kritisieren die An­woh­ne­r*in­nen trotzdem. Sie seien enttäuscht, dass Krüger „keinerlei Zugeständnisse“ mache. Sie wollen, dass Krüger Dixi-Toiletten aufstellt, „zumindest bis die Stadt weiterführende Zugeständnisse macht“. Außerdem fordern sie zusätzliches Personal, um die Toiletten zu überwachen und wieder abzuschließen, wenn der Hauptandrang vorbei ist. Sie würden den Club auch bevollmächtigen, sich auf ihrem Gelände zu bewegen und Platzverweise auszusprechen, betonen sie. Weder auf diese Forderungen noch auf eine Anfrage der taz gab Krüger eine Antwort.

„Die Kommunikation war noch nie gut“, sagt Kim. Schriftverkehr habe es nie gegeben, jetzt sei Krüger wenigstens gewillt zu telefonieren. „Man muss dem KitKat zugutehalten, dass es mittlerweile zumindest ein Bewusstsein für einige Problemlagen hat.“ Das braucht es auch. Der Club ist in den letzten Jahren wiederholt wegen Vorwürfen sexueller Übergriffe sowie sexistischem und queerfeindlichem Verhalten der Türsteher unter Druck geraten. Recherchen der antifaschistischen Plattform Exif ergaben, dass einige Türsteher dem rechtsextremen Hooligan-Milieu angehören.

Das KitKat zeigt kein Interesse

Aber auch die Clubcommission nehme die Situation nicht ernst, kritisieren die Anwohner*innen. Für die Nacht von Freitag auf Samstag ließ Vorstandsmitglied Sascha Disselkamp, dem das KitKat-Gebäude gehört, einen zusätzlichen Sicherheitsmann einstellen. Der sollte sich für eine Stunde, von 0 bis 1 Uhr, „ein Bild von der Lage verschaffen“ und „sehen, ob ihm besagte Täter dort begegnen“. „Vollkommen untertrieben“, finden die Anwohner*innen, „eine Frechheit“.

In einem „sehr ernüchternden“ Gespräch am Freitag habe der Manager der Clubcommission ihnen vermittelt, „dass sich das KitKat nicht wirklich für den desaströsen Ist-Zustand interessiere“, sich aktuell nicht damit beschäftige und auch keine langfristigen Bestrebungen in Angriff nehme. „Die Clubcomission hat ihr Bedauern ausgedrückt und angegeben, selbst natürlich machtlos zu sein“, erzählen die Anwohner*innen. „Die Verantwortlichkeiten werden immer hin- und hergeschoben.“

Der Manager der Clubcommission betont gegenüber der taz jedoch den An­woh­ne­r*in­nen klargemacht zu haben, dass sie lediglich eine vermittelnde Rolle einnähmen und nicht für den Club sprechen könne. Auch Lutz Leichsenring, Vorstandsmitglied der Clubcommission, sagt der taz er bedauere, dass die Hausgemeinschaft ihnen fehlende Ernsthaftigkeit unterstelle. Neben der Aufstockung des Personals habe man das Problem in verschiedenen Besprechungen thematisiert und im Zuge dessen auch die Verfügbarkeit von Toiletten an verschiedenen Veranstaltungstagen beobachtet.

Am Freitagabend hängten die An­woh­ne­r*in­nen Plakate auf ihrem Gelände auf, um auf die potenzielle Gefahr aufmerksam zu machen. An diesem Wochenende habe es keine Schlange gegeben, daher sei es zu keinen weiteren Vorfällen gekommen, erzählen sie. Wie eine langfristige Lösung aussehen kann, bleibt unklar.

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