Kolumne Liebeserklärung: Näh doch die Knöpfe wieder an

Thea Dorn preist das durch Grapschen freigesetzte künstlerische Potenzial. Die gute alte sexuelle Belästigung sieht sie von Spießigkeit verdrängt.

Zeichnung von einem kleinen Mann, der eine Blume hält, über seinem Kopf schwebt ein Herz

Hat eine sehr spezielle Meinung zu #Metoo: Thea Dorn Foto: dpa

Der Künstler. Die zum Glück ungeschützte Berufsbezeichnung ist das ideale Schlupfloch für den narzisstischen Soziopathen, der nach gängigen Maßstäben komplett den Anschluss verloren hätte. Doch diese Maßstäbe gelten für ihn nicht, er sticht nun mal aus der grauen Masse untoter Schwiegersöhne heraus. Ein Künstler darf sich nicht nur verhalten, wie er will, er muss es sogar: für ein höheres, heiliges Ziel.

Schon in der Ablehnung herkömmlicher Arbeit liegt großes Genie. Der Künstler ist Normalsterblichen weit überlegen. Würde er sich nun wie ein in die Gesellschaft Integrierter oder auch nur Integrierbarer verhalten, versiegte sein kostbares Genie auf der Stelle und machte schnödem Kokolores Platz. Das gerade für die Kunst wichtigste Privileg des männlichen Künstlers liegt jedoch in der sexuellen Belästigung.

Dieses kostbare Sonderrecht klagt auch die Autorin Thea Dorn in ihrem Kommentar zur #Metoo-Debatte auf Deutschlandfunk Kultur ein: Noch vor wenigen Jahrzehnten hätte man dem Freigeist „seinen Status als gesellschaftlicher Outlaw zugestanden.“ Des Künstlers Antriebskraft müsse „natürlich auch das Abgründige sein, die Lust daran, massiv über die Stränge zu schlagen.“ Der „verkommene“ Künstler im Kontrast zum uninspirierten, im Dunkeln pimpernden Doofmann, der nicht weiß wie man vernünftig die Sau rauslässt.

Das ist vollkommen richtig. Der Künstler muss angeregt werden. Durch Drogen, geistige Getränke und vor allem durch Übergriffigkeit. Jedes Mal, da er einer Frau ungefragt an den Hintern fasst, fließt die kreative Energie vom Po über die Hand mit Macht direkt in sein Hirn. Es ist fantastisch. Gute Kunst entsteht im Grunde ausschließlich durch Belästigung: Mozart, Goethe, Kinski. Zivilisiertes Benehmen wäre doch keine Kunst. Wir wissen nicht, wo sich Dorn selbst in diesem testosteronbetonten Künstler-Kosmos verortet – womöglich ist sie mit ihrem Stockholm-Syndrom bereits kreativ ausgelastet.

Kleenex raus und Schwamm drüber

Mit Bedauern beobachtet sie „einen neuen Totalitarismus, der da heraufzieht“, einen moralischen, in Gestalt der Linksspießer, die immer gleich nach der Scharia schreien, sobald nur ein Künstler vor einer ambulanten Muse seinen Sack entleert, um sich und die Welt danach mit umso mehr Geist und Schönheit füllen zu können. „Auf jeden Griff zum Pinsel folgt der Griff zum Pinsel“, pflegt man unter Malern zu sagen. Wer auf diese Weise quasi Teil des Kunstwerks werden darf, sollte doch stolz sein und sich freuen. Poesiealbum hervor, Kleenex raus und Schwamm drüber.

Zum Glück gibt es noch Stimmen der Vernunft wie die von Thea Dorn. Ihr Motto, frei nach Birgit Kelle: Dann näh doch die Knöpfe wieder an die Bluse, wenn sie dir aufgerissen wurde. Der postmoderne Ponytraum, sich auf den Verzicht auf sexuelle Belästigung zu verständigen, wird von ihr mit dem Prädikat „Benimmschule“ exakt auf den Platz verwiesen, auf den er in den Augen des Künstlers gehört: in die Mottenkiste für Nichterwählte, Langweiler und ähnliche Protagonisten einer „hysterisch-bigott hypermoralisierten Gesellschaft, spießiger und furchtbarer als der Geist der 50er und 60er.“ Nur der Niedere bleibt der irdischen Moral verhaftet, während der Schöpfer via Muschi nach den Sternen greift.

Endlich weiß hier mal eine, wo es langgeht. Die auch Verständnis für das vielgeschundene Geschlecht mit dem Y-Chromosom aufbringt. Von solchen Frauen, die in der Lage sind, das Wesen der Kunst und des Künstlers mit ihrem Verstand auch wirklich in all seiner Tiefe auszuloten, müsste es viel mehr geben. Es müsste überhaupt mehr Frauen mit Verstand geben. Sag ich jetzt mal so als Künstler. Dann gäbe es diese ganzen Probleme gar nicht. Dann könnten wir Künstler uns endlich wieder mit dem Wesentlichen befassen wie mit Titten und Ärschen, also der wahren Kunst eben.

Allerdings können einige Künstler gar nicht arbeiten, wenn sie nicht als kreatives Warm-up mindestens eine Frau vergewaltigt haben. Das findet sogar Thea Dorn nicht mehr so schnafte, das könnte dann zur Not auch mal bestraft werden. Schade, dass sie hier die Kunstfreiheit beschneiden möchte; ganz so klug ist sie vielleicht doch nicht? Auch wenn sie ansonsten findet, dass vieles nur Gejammer von Mimösen ist: „Kinder, das gehört zum Erwachsenwerden, das gehört dazu, um in dieser Welt zu überleben, dass man eine gewisse Abwehrkraft entwickelt.“ Also scheißt einfach drauf. Im Dienste der Kunst.

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Seit 2001 freier Schreibmann für verschiedene Ressorts. Mitglied der Berliner Lesebühne "LSD - Liebe statt Drogen" und Autor zahlreicher Bücher.

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