Ein Plädoyer für das Voice Messaging: Einfach loslabern

Auf den ersten Blick sind WhatsApp Voice Messages eine umständliche Zwischenfunktion. Doch ihnen wohnt der sinnliche Zauber des Unperfekten inne.

Illustration mit zwei Bildern, links hält ein Mann ein Handy an einen Baum voller singender Vögel, rechts reden vier Menchen in ihre Handys

Illustration: Juliane Pieper

Es macht bing. In der Hosentasche klimpern Schlüssel und Kleingeld im Takt der Handvibration. Schnell wird das Smartphone gecheckt und schnell kommt der Schock. Eine WhatsApp Voice Message.

Verdammter Mist. Wenn er genug Zeit dazu hat, solo auf sein Telefon einzureden, warum ruft er nicht einfach an? Warum schreibt er nicht? Was soll diese sinnfreie Dazwischenfunktion überhaupt?

Es gibt viele Skeptiker und Feinde der Sprachnachricht. Ihre Argumente sind: Selbst mit frisch aufgeladenem Guthaben dauert es je nach Empfangsqualität ewig, bis die Messenger-App die Audiodatei heruntergeladen hat. Wenn man sie dann endlich abspielen kann, muss man sie sich anhören. Manchmal mehrere Minuten lang. „Tippen geht doch viel schneller!“, ist der häufigste Einwand, eine Textnachricht ist flink gelesen und unkompliziert beantwortet. Und darum ging es bei diesem ganzen Social-Media-Kram doch ursprünglich mal, oder?

Die Sprachnachricht ist nicht schnell. Sofern man keine Kopfhörer dabeihat, kann man sie sich weder im Bus noch heimlich bei der Arbeit anhören. Sie ist umständlich und irgendwie unangenehm. Einseitig intim. Sie ist wie ein Anrufbeantworter. Und welcher normale Mensch spricht freiwillig und gerne auf einen Anrufbeantworter?

Selbst ein extrovertierter Egomane klingt auf Band schnell wie ein schüchternes Mauerblümchen. Sofern man nicht regelmäßig Selbstgespräche führt, verstört einen das Sprechen ins Nichts. Und dann muss man dabei auch noch locker und sexy klingen und darf sich nicht verhaspeln!

Trotz allem: Seit die Audiofunktion im Jahr 2013 auf WhatsApp gelauncht wurde, sieht man immer mehr Leute in ihre Smartphones wie in ein Walkie-Talkie sprechen, weil sie den Aufnahmeknopf gedrückt halten müssen. Beschäftigen wir uns einmal mit den Vorteilen dieser von vielen so wenig geschätzten Funktion.

Eine natürliche Stimme mit Äh-Pausen

Es mag sein, dass es ungewohnt ist, wenn man das erste Mal eine Sprachnachricht aufnimmt. Der heutige Social Media User ist so daran gewöhnt, die Illusion von einem perfekt inszenierten Ich aufrechtzuerhalten, dass es nervös macht, die natürliche Stimme mit all ihren Äh-Pausen, Versprechern und anderen weniger hübschen Eigenarten aufzunehmen und via WhatsApp zu verewigen.

Auch private Telefonate sind seltener geworden, weil sie die bequeme Distanz, an die wir uns auf Facebook und Snapchat gewöhnt haben, aufheben. Genau darin liegt aber der Reiz von Sprachnachrichten. Sie sind nicht künstlich geschönt und gefiltert, man hört das Charakteristische am Menschen am anderen Ende der digitalen Leitung heraus.

Illustration mit zwei Bildern, links hält ein Mann sein Handy komisch vor den Mund, ein anderer schaut ihn an, rechts spricht der Mann Stotterlaute in das Handy

Foto: Juliane Pieper

Andererseits hat man immer noch ein gewisses Maß an Kontrolle: Man kann eine misslungene Sprachnachricht auch löschen und neu aufnehmen. Bei einem Telefonat geht das nicht. Und dennoch ist der Grad der Intimität weit größer als bei einem Text.

Was die Anrufbeantworter-Situation angeht: Im Gegensatz zur aussterbenden Festnetz-Hinterlassenschaft, geht es bei der Sprachnachricht nicht immer um die reine Vermittlung von Informationen.

Jemand hat Geburtstag und es ist unwahrscheinlich, dass man ihn am frühen Morgen vor der Arbeit per Anruf erreichen und ihm gratulieren kann? Nichts ist charmanter als ein Happy-Birth­day-Ständchen via WhatsApp. Nachts am Kotti, unten am Gleis der U 8, spielt endlich mal wieder diese geile Jazzband? Man nimmt das Handy heraus und richtet den Lautsprecher auf die Musiker. Dann nimmt man einen Teil der Melodie und das begeisterte Klatschen ringsherum auf und schickt es einem Freund, den man ewig nicht gesehen hat.

Wir teilen einen kleinen Alltagsmoment

Auch wenn man sich seit Wochen nicht erkundigt hat, wie es ihm geht und was er so treibt – er weiß durch die Sprachnachricht nicht nur, dass man gerade an ihn denkt, sondern er nimmt auch an einem kleinen Alltagsmoment teil, den man in ähnlichen Situationen schon zusammen erlebt hat.

Die mangelnde Gleichzeitigkeit der Kommunikation, die bei Sprachnachrichten oft als nervig empfunden wird, ist in Wirklichkeit ihr größter Charme. Lebt der Partner, die Mutter oder die Freundin in einem anderen Land oder gar auf einem anderen Kontinent, muss man sich trotz aller Vernetztheit schließlich immer noch verabreden, wenn man Sehnsucht nach einer persönlichen Unterhaltung hat. Hört man dann endlich die Stimme des Vermissten, befindet man sich meist zu Hause in einem seltsam stillen Schlafzimmer. Man hört nichts vom Trubel der Straße, den Freunden oder der Musik im Leben des anderen. Der eine ist müde, weil es früh ist, der andere ist müde, weil es spät ist.

Eine Voice Message ist im besten Fall ein kleines, persönliches und unverwechselbares Stück einer Person, die einem wichtig ist und der man nahe sein will

Schickt man sich aber gegenseitig zeitversetzte Nachrichten, in denen man das Lachen des drei Wochen alten Enkels – oder die Geräuschkulisse des Wochenmarkts aufnimmt, auf den man jeden Samstagmorgen geht, dann ist das eine viel zärtlichere und kreativere Form der Kommunikation als ein verabredeter Skype-Call. Eine WhatsApp Voice Message ist im besten Fall also ein kleines, persönliches und unverwechselbares Stück einer Person, die einem wichtig ist und der man nahe sein will.

Die Skepsis, die in Deutschland noch viele gegenüber der Sprachnachricht empfinden, ist in anderen Teilen der Welt längst überwunden. In Südamerika hat sie die Textnachricht nicht nur in der privaten Kommunikation verdrängt, sondern wird auch in Firmen immer häufiger eingesetzt. Politiker verbreiten durch sie Statements, die von allen Leitmedien aufgegriffen werden.

Witzige Geschichten im Gruppenchat

Besonders beliebt ist es auch, in privaten Gruppenchats Voice Messages zu verschicken: Jemand erzählt eine witzige Geschichte, die er auf dem Weg nach Hause erlebt hat. Man nimmt die Atmosphäre in einem Club auf, um den abwesenden Stubenhockern ein schlechtes Gewissen zu machen und sie dazu zu überreden, hinzuzukommen.

In der frischen Beziehung ist die erste Voice Message vom Partner ein Meilenstein: Er traut sich, er selbst zu sein. Sicher, man sollte nicht allzu langsam reden, wenn man eine Sprachnachricht aufzeichnet. Man sollte auch nicht komplett darauf verzichten, auch mal anzurufen oder zu skypen. Geschweige denn darauf, sich auch mal in Fleisch und Blut zu Gesicht zu kriegen. Aber das verlangt ja auch keiner.

Die WhatsApp Voice Message ist eine schöne Ergänzung zu all den anderen Möglichkeiten, die wir heute haben, um miteinander in Kontakt zu bleiben. Dass sie von vielen unterschätzt und missverstanden wird, ist schade. Sie bietet nämlich eine ganze Menge Spielraum für eine entschleunigte und persönlichere Art der Kommunikation. Also Schluss mit schnell und perfekt. Ganz entspannt zurücklehnen. Und loserzählen.

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