Die taz-Chefredaktion: Die Chance ist das Handy

Vor allem, um die jüngeren Leserinnen und Leser zu erreichen, müssen wir das Smartphone erobern.

Die Chefredaktion (von links): Georg Löwisch, Barbara Junge und Katrin Gottschalk. Bild: David Oliveira

In der Früh um acht habe ich die taz vor Augen, in den Händen und sogar auf der Zunge. Denn ich trinke einen doppelten tazpresso und lese die aktuelle Ausgabe, in den Händen das weiche bedruckte Papier. Das ist täglich meine erste Dreiviertelstunde taz, noch vor dem Planen, Streiten, Schlichten, Wägen, Entscheiden, Schreiben, Titeln, Prüfen, bevor also die Arbeit in der Redaktion beginnt. In der Früh um acht sind wir allein auf der Empore im taz-Café, meine Lieblingszeitung und ich.

Das Handy ist aus in dieser Dreiviertelstunde. Es summt nicht und piepst nicht. Keine Mails, keine Tweets, keine SMS. Denn ein Smartphone kann so viel, dass die eine Funktion einen leicht von der anderen ablenkt. Ich will etwas twittern, da simst jemand dazwischen, das ich beantworten will, wozu ich aber erst schnell in die Kalender-App schauen muss, wo mir eine Unklarheit auffällt, die ich per Mail meiner Verabredung schicke, worüber ich den angefangenen Tweet ganz vergesse.

Je jünger, desto Smartphone

Jetzt könnte ich natürlich klagen über das Smartphone, das für den ruhigen, konzentrierten Zeitungsjournalismus doch gar nicht tauge, weil es Welt und Wirklichkeit in kleine Teile zerhackt. Aber das wäre gelogen, denn ich nutze das Handy mehr und mehr zur Zeitungslektüre. Auf dem Smartphone lese ich taz.de-Texte, die jede Stunde neu hereinkommen. Aber auch in anderen täglichen Zeitungen lese ich schon abends auf dem Gerät. Sogar am Wochenende unterwegs in der Bahn oder in Ruhe am See vertiefe ich mich in Artikel auf dem kleinen Telefonbildschirm. 45 Millionen Menschen in Deutschland benutzen ein Smartphone, besagt eine Statistik des Branchenverbandes Bitkom. Zwei Drittel von ihnen lesen Nachrichten darauf, fast ein Viertel nutzt E-Books oder E-Paper. Das E-Paper, jenes elektronische Abbild der Zeitung, wächst. Seine Verbreitung hat sich in den Jahren von 2013 auf 2015 verdoppelt: auf eine verkaufte Auflage von deutschlandweit rund 730.000 Exemplaren.

Und klar ist: Jüngere LeserInnen nutzen den Journalismus immer stärker auf dem Handy. Nach der Online-Studie von ARD und ZDF gehen nur 6 Prozent der 50- bis 69-Jährigen täglich per Smartphone ins Internet, aber 23 Prozent der 30- bis 49-Jährigen und 48 Prozent der 14- bis 29-Jährigen. Je jünger, desto Smartphone.

Wir müssen umdenken

Zwar werden die Smartphones nach und nach großformatiger, aber trotzdem erscheint eine Zeitungsseite darauf noch winzig. Nur die Titelzeilen sind lesbar. Also berührt man das Glas, spreizt Daumen und Zeigefinger und vergrößert so spaltenweise die Schrift auf der Zeitungsseite, um sich den Text anzusehen. Das ist eher umständlich. Deshalb gibt es Apps: Anwendungen, die Übersichten und Texte ans Handy anpassen. Sie lösen sich vom Layout der gedruckten Zeitung. Das klassische E-Paper wird von der Tageszeitung her gedacht und funktioniert deshalb nicht auf dem kleinen Telefon. Ebenso verhält es sich mit einer Website, die für einen großen Bildschirm gedacht ist – auch sie ist zu groß für das Smartphone. Deshalb muss die Mobilversion von taz.de sich diesen Gegebenheiten anpassen. Zwar gibt es seit 2012 die Seite m.taz.de – doch in dieser Version fehlen Videos, Bilderstrecken, die Zusammenfassung der Artikel in Schwerpunkte und man kann nicht kommentieren.

Obendrein funktioniert unser freiwilliges Bezahlmodell taz.zahl ich, das erst seit 2015 erfreulich stark wächst, auf dem Handy noch so gut wie gar nicht. Wir wollen aber auch über das Smartphone die taz-LeserInnen für taz.zahl ich begeistern. Mehr als 8.000 Menschen unterstützen bereits unseren unabhängigen Journalismus online. Die Mobilversion von taz.de sollte schon lange verbessert werden. Allerdings hat die Einführung unseres neuen Redaktionssystems viele Kräfte der taz-Technik gebunden. Jetzt wird daran gearbeitet, damit wir in den nächsten Monaten den stündlichen taz-Journalismus schnell und komfortabel auf dem Handy präsentieren können. Mit kürzeren Ladezeiten, größerer Schrift und mehr Funktionen.

Die taz auf dem Handy stärken

Eine taz-App basierend auf dem Layout der tageszeitung bieten wir schon für Android-Telefone. An dieser App wird kontinuierlich getüftelt. Eine App für iPhones fehlt bisher im taz-Sortiment. Sie kommt bis Ende des Jahres heraus, einen Prototyp konnten wir in der Chefredaktion schon mal ausprobieren.

An jenem Wochenende, als der Prototyp der iPhone-App, die sogenannte Betaversion, zur Verfügung stand, bekam die taz-EDV gleich drei Testberichte aus der Chefredaktion. Denn wir, die neue dreiköpfige Chefredaktion bestehend aus Barbara Junge, Katrin Gottschalk und mir, setzen auf die mobile Verbreitung. Wir wollen, dass die taz auf dem Handy stärker wird. Wie die Angebote aufgebaut und sortiert sind, das ist auch eine journalistische Frage. Technik und Redaktion greifen ineinander.

taz muss da sein, wo die LeserInnen sind

Für Apps und Mobilversionen interessieren wir uns, weil sie den Medienkonsum nachhaltig verändern. Gerade in politischen Zeiten wollen wir so viele Menschen wie möglich erreichen. Die taz muss da sein, wo die LeserInnen sind. Je härter und dichter die Nachrichtenlage von Terror bis Trump ist, desto nötiger sind die Berichte, Analyse und Kommentare der taz. Im nächsten Jahr werden drei Landtage und der Bundestag gewählt. Es braucht die genaue Berichterstattung der taz über den Rechtspopulismus. Es müssen andere Themen durchdringen als nur die angstbesetzten. Es darf nicht immer bloß um Deutschland und den Westen gegehen. Und ja: Wir müssen für die offene Gesellschaft streiten, indem wir sie in ihrer Vielfalt und ihren Facetten zeigen.

Wichtig dafür ist die taz als gedruckte Zeitung als Referenzmedium mit Gewicht. Die Zeitung aus Papier, die auf dem Tisch liegt. Aber im Entscheidungsjahr 2017 wollen wir mit taz.de, tageszeitung und taz am Wochenende mehr jüngere LeserInnen erreichen, die sich noch nie in ihrem Leben näher für eine gedruckte Zeitung interessiert haben. Die taz muss ihnen ein Angebot machen.

Die Online-Studie von ARD und ZDF hat herausgefunden, dass die NutzerInnen von Smartphones in Deutschland im Durchschnitt am Tag 158 Minuten mit dem Internet verbringen. Es wäre falsch, wenn die taz im Wettbewerb um diese zweieinhalb Stunden nicht mitstreiten würde. Das Handy ist eine Chance für den taz-Journalismus. Und nicht nur für den schnellen Bericht oder den kurzen Kommentar. Denn online werden auch lange Essays, Hintergrundberichte und Reportagen gelesen. Nehmen wir zum Beispiel unseren Report über die Keylogger-Affäre, mit der wir im Juni die Ausspähaktion eines Ex-Mitarbeiters in der taz aufgearbeitet haben. Der Text war 36.000 Zeichen lang, fünf Seiten in der gedruckten taz am Wochenende. Er ist im Netz so oft verlinkt und weiterempfohlen worden, dass er zu den meistgelesenen Artikeln auf taz.de wurde. Und knapp ein Fünftel der Online-LeserInnen davon hat ihn mobil gelesen.

Es darf kein Entweder-oder geben

Soll die Zeitung auf dem Handy die gedruckte Zeitung ersetzen? Das wäre nicht nur schade, es wäre zu einfach. Es ist vielmehr typisch für die Medienwelt im Jahr 2016, dass es kein Entweder-oder gibt. taz.de, tageszeitung und taz am Wochenende. Stündlicher, täglicher und wöchentlicher taz-Journalismus. PC und Tablet, Handy und Papier. Man muss vieles gleichzeitig machen und kann eben nicht das eine aufgeben, weil das andere wächst. Das ist aufwändig, manchmal stressig. Aber so ist es. Und auf diese Weise bietet sich uns die Chance, den Kreis der taz-LeserInnen zu erweitern.

Viele nutzen die taz auf mehreren Wegen. Sie rascheln mit dem Papier, wischen aber auch über das Glasdisplay ihres Telefons. So halte ich es auch. Am meisten Zeitung lese ich inzwischen auf dem Telefon. Aber diese Dreiviertelstunde am Morgen mit tazpresso im taz-Café und der frisch gedruckten neuen Ausgabe, die ist etwas ganz Besonderes. Das Handy bleibt dann aus.

Für die Chefredaktion, Georg Löwisch