Demo in Dresden nach Angriff auf Ecke: Demokraten vereint nach Anschlag

Nach dem dem Angriff auf den SPD-Politiker Matthias Ecke machte eine Spontandemo in Dresden Hoffnung. Diese war leidenschaftlich wie selten.

hunderte Demonstrierende am Tatort des Angriffs auf den EU-Abgeordneten im Wahlkampf vor der Europawahl 2024

Kundgebung in Dresden, nachdem der SPD-Politiker Matthias Ecke beim Plakate krankenhausreif geprügelt wurde Foto: Sebastian Kahnert/dpa

DRESDEN taz | Auf dem Weg zum Pohlandplatz in Dresden-Striesen fährt man seit einer Woche an zahlreichen Plakaten zur Kommunalwahl am 9. Juni vorbei. Am Ort der Demonstration trifft man dann viele, die solche Sichtwerbung entweder selbst aufgehängt haben oder von ihren Kindern berichten: „Das hätte Freitagabend auch uns treffen können!“, ist man sich auf der spontanen Kundgebung in Dresden nach dem brutalen Angriff auf den SPD-EU-Abgeordneten Matthias Ecke einig, der derweil im Krankenhaus liegt.

Das veranstaltende Bündnis schätzt die Teilnehmerzahl auf 3.000 Menschen, die spontan im Laufe des Sonntags mobilisiert werden konnten. Unter ihnen zahlreiche gegenwärtige und ehemalige Amtsträger verschiedenster Parteien, am bekanntesten vielleicht der frühere sächsische und Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Vertreter der Stadt waren nicht zu entdecken.

„Wir sind mehr!“, lautete der von Rednern am häufigsten gebrauchte Ausruf, verbunden mit einem Appell an gemeinsame Verteidigung der Demokratie. Denn eine solche brutale Attacke wie auf Ecke, den SPD-Spitzenkandidaten zur Europawahl, nannte Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) eine massive „Beeinträchtigung freier Wahlen“. Ecke war in der Freitagnacht von einer Gruppe Jugendlicher beim Aufhängen von Wahlplakaten zusammengeschlagen worden. Es ist der vorerst traurige Höhepunkt einer Reihe von Angriffen auf Wahlkämpfer in den letzten Wochen.

Von „Schlägen ins Gesicht, die auch die Herzen getroffen haben“, sprach Sachsens SPD-Wirtschaftsminister Martin Dulig und erinnerte an viele durch Terror verängstigte Kommunalpolitiker. Er mahnte eine „Kultur des Widerspruchs“ an. Im gleichen Sinn schwärmte Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt von den Bündnisgrünen von der Vorstellung, „der andere könne auch recht haben“, die allein Basis eines konstruktiven Dialogs sei. Sachsens Justizministerin Katja Meier (Grüne) kündigte für den bevorstehenden Dienstag den Beschluss eines Gesetzentwurfs durch das Regierungskabinett an, der über den Bundesrat bundesweit politisches Stalking von Amts- und Mandatsträgern verfolgen soll.

In Dresden und Berlin demonstrierten zahlreiche Menschen für Demokratie und gegen Gewalt.

Nach der Attacke in Dresden stellte sich ein 17-Jähriger der Polizei. Er habe in der Nacht zu Sonntag die Polizei aufgesucht und angegeben, der Täter zu sein, teilte das Landeskriminalamt (LKA) mit. Die Hintergründe der von vier jungen Männern am Freitagabend verübten Attacken auf Ecke und zuvor bereits auf einen Wahlkampfhelfer der Grünen waren am Wochenende noch unklar – die Ermittlungen dauerten an.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier appellierte an alle, die politische Auseinandersetzung friedlich und mit Respekt zu führen. Zwei Bündnisse hatten für Sonntagnachmittag zu Demonstrationen in Berlin und Dresden aufgerufen – das Motto: „Gewalt hat keinen Platz in unserer Demokratie!“. In der sächsischen Landeshauptstadt kamen nach Angaben von Polizei und Veranstaltern rund 3000 Menschen zusammen, darunter etwa Bundestagsvizepräsidentin Katrin-Göring-Eckardt (Grüne) und die Bundesvorsitzende der SPD, Saskia Esken. In Berlin versammelten sich nach Angaben der Polizei rund 1000 Demonstranten am Brandenburger Tor. Darunter waren die Grünen-Vorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour, SPD-Chef Lars Klingbeil sowie die Ministerpräsidenten von Sachsen und Nordrhein-Westfalen, Michael Kretschmer und Hendrik Wüst (beide CDU).

Unter dem Motto „Bis hierhin und nicht weiter“ haben sich Politiker fast aller großen Parteien gemeinsam gegen Gewalt in der politischen Auseinandersetzung gewandt und sich gegenseitigen Respekt zugesagt. Bis Sonntagnachmittag hatten weit mehr als 100 Abgeordnete diverser Parlamente die sogenannte Striesener Erklärung unterschrieben, darunter die Vorsitzenden von SPD, Grünen und Linken sowie Abgeordnete der Union. Die Erklärung wendet sich gegen „die immer weiter eskalierende Gewalt gegen politisch engagierte Menschen im öffentlichen Raum“.

Bund und Länder wollen am Dienstag über mögliche Konsequenzen aus der Gewalt beraten. Das kündigte der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Brandenburgs Ressortchef Michael Stübgen (CDU), an: „Ich werde meinen Länderkollegen den kommenden Dienstag als Termin für ein informelles Treffen auf Ebene der Innenministerkonferenz vorschlagen.“ (dpa)

„Die Saat der AfD geht auf“

SPD-Bundesvorsitzende Saskia Esken erhielt viel Beifall, als sie Nazis und Rechtspopulisten eine Mitschuld am aggressiven Klima im Land gab. „Die Saat der AfD geht auf“, bezog sie sich auf die konkrete Gewalttat. Sachsens Innenminister Schuster berichtete, dass die Polizei schon länger Eskalationen befürchtet habe und wie intensiv nun ermittelt werde. Verschiedenste Parteien und Organisationen, ausgenommen die AfD und das BSW, veröffentlichten am Sonntag eine „Striesener Erklärung“.

Inzwischen hat sich in der Nacht zum Sonntag nach Angaben des Landeskriminalamtes Sachsen ein 17-jähriger Jugendlicher der Polizei gestellt und den Angriff auf den SPD-Politiker Ecke gestanden. Gegen ein Uhr erschien er gemeinsam mit seiner Mutter auf dem Polizeirevier Dresden-Süd im Plattenbau-Stadtteil Prohlis. Angaben zum Motiv und zu seinen wahrscheinlich drei flüchtigen Mittätern machte er nicht. Sie sollen zur Zeit des Angriffs schwarz gekleidet gewesen sein und werden von Beobachtern der rechten Szene zugerechnet. Auch einen Wahlkampfhelfer der Grünen hatten sie körperlich attackiert.

Die Polizei bat in der Umgebung des Tatortes Einwohner mittels einer Postwurfsendung um Mithilfe. Der Tatverdächtige war der Polizei bislang nicht bekannt. Er wurde unter Auflagen wieder nach Hause entlassen. Das 2017 im Landeskriminalamt eingerichtete Terrorismus- und Extremismus-Abwehrzentrum vernimmt ihn weiterhin.

Matthias Ecke will seinen Wahlkampf fortsetzen

Der Polizeidirektion Dresden wurden am Wochenende weitere Übergriffe gemeldet, die möglicherweise im Zusammenhang mit den Attacken vom Freitagabend stehen. Im selben Stadtteil Striesen beschädigten in der Nacht zum Sonntag etwa 20 Jugendliche offenbar wahllos Wahlplakate der AfD, der FDP, der CDU und der Linken. Einen 17-Jährigen konnte die Polizei stellen.

Im Szeneviertel Äußere Neustadt wurde unterdessen ein Infostand der AfD, deren Aufsteller und Plakate beschädigt. Auch hier konnte die Polizei zwei weibliche und einen männlichen Angreifer im Alter von 23 und 28 Jahren stellen.

Der schwer am Kopf verletzte SPD-Spitzenkandidat Matthias Ecke wurde am Sonntag operiert. Nach seiner Genesung will er der SPD-Landeszentrale zufolge den Wahlkampf fortsetzen. Durch seinen Parteifreund und Wirtschaftsminister Martin Dulig ließ er den Demonstranten einen Dank für die Solidarität ausrichten.

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