Neue russische Offensive in der Ukraine: Schaut auf Charkiw, nicht auf Malmö

Wir interessieren uns zu sehr für den Nahostkonflikt und zu wenig für die Ukraine. Putin schafft derweil Fakten.

Feuerwehrmänner löschen ein Feuer in einem Haus

Ukrainische Feuerwehrleute versuchen nach russischem Bombardment, die Flammen unter Kontrolle zu bringen Foto: dpa

Europa fiedelt, während Europa brennt. Die Augen weiter Teile der europäischen Öffentlichkeit haben sich jüngst auf die Proteste gegen Israels Teilnahme am Euro­vision Song Contest in Malmö gerichtet. Währenddessen hat Russland in der Ukraine eine blutige, neue Kriegsfront eröffnet.

Bodentruppen sind auf dem Vormarsch in Richtung der Millionenstadt Charkiw, die ohnehin seit Wochen täglich Ziel russischen Bombenterrors ist. Grenznahe Dörfer und Gehöfte stehen in Flammen, Tausende verzweifelte Menschen sind auf der Flucht, die erschöpften ukrainischen Verteidiger sind am Limit.

Russlands Präsident Putin beginnt seine dritte Amtszeit so, wie er es angekündigt hat – mit Warnungen vor einem neuen Weltkrieg, Drohungen mit einem Atomschlag und der Verkündung, Russland werde immer siegen.

Der Angriff auf Charkiw ist da nur der erste Schritt. Der Westen hat dem momentan nichts entgegenzusetzen und will davon auch nichts wissen. Die EU, die USA und Großbritannien sind sämtlich mit Wahlkampf beschäftigt, also mit sich selbst. Wenn etwas die politische Öffentlichkeit bewegt, ist es Streit über Israel.

Narzistische Überidentifikation mit Israel

Debatten über Gaza spalten Deutschland und andere Länder verlässlicher, als es die plumpe russische Ukrainepropaganda sich je hätte träumen lassen. Der notwendige Kampf gegen Antisemitismus wird von der europäischen Rechten für Fremdenfeindlichkeit und autoritäres Staatsverständnis instrumentalisiert.

Deutschland droht sich durch seine narzisstische Überidentifikation mit Israel aus der Weltpolitik zu verabschieden, ohne es zu merken. In den USA steht Biden massiv unter dem Druck der eigenen Basis, und damit steigen Trumps Siegeschancen im November, womit Putins Durchmarsch gesichert wäre.

Für die Ukraine demonstriert derweil niemand. Dabei ist die Lage so brenzlig wie seit Kriegsbeginn vor zwei Jahren nicht mehr.

Russlands Krieg nicht hinnehmen

Die Toten von Charkiw sind auch Europas Tote. Rechtzeitige Lieferungen von Abwehrwaffen in ausreichender Menge hätten es der Ukraine ermöglicht, alle großen Städte zu schützen, nicht nur Kyjiw.

Während Trumps Marionetten in den USA monatelang die Militärhilfe für die Ukraine blockierten, verschwendeten Europäer kostbare Zeit mit Dauerdebatten etwa darüber, ob die Ukraine die Ausgangspunkte russischer Angriffe zerstören darf.

Egal was Putin anrichtet – immer warnt irgendjemand in Berlin vor einer drohenden Eskalation, sobald jemand die reale Eskalation aufzuhalten versucht. Man kann aber nicht im Europawahlkampf mit „Frieden“ werben und zugleich Russlands Krieg hinnehmen. Jetzt entscheidet sich Europas Zukunft. In der Ukraine.

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Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.

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